Zwischen Tradition und Wohlergehen: Ein Gespräch über die Auswirkungen von Kuhglocken auf das Tierwohl:

In der idyllischen Berglandschaft vieler ländlicher Regionen gehören Kuhglocken seit Jahrhunderten zur Tradition und prägen das akustische Bild der Almen. Doch hinter der romantisierenden Vorstellung dieser ländlichen Symbole verbirgt sich eine Diskussion, die in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen hat: die Auswirkungen von Kuhglocken auf den Tierschutz. In einer Zeit, in der das Bewusstsein für die Rechte und das Wohlergehen der Tiere stetig wächst, stellt sich die berechtigte Frage, wie Tradition und Tierwohl in Einklang gebracht werden können.

Um dieses Thema näher zu beleuchten, haben wir ein schriftliches Interview mit Frigga Wirths, Fachreferentin für Rinder beim Deutschen Tierschutzbund, geführt. Frau Wirths beleuchtet die komplexe Thematik rund um den Einsatz von Kuhglocken und diskutiert sowohl traditionelle Aspekte als auch die Notwendigkeit, das Wohl der Tiere in den Vordergrund zu stellen. Das Gespräch soll einerseits auf das Thema aufmerksam machen und andererseits zum Nachdenken anregen.

Faszination Berge:
Wie bewertet der Deutsche Tierschutzbund die Verwendung von Kuhglocken unter dem Aspekt des Tierwohls?

Frau Wirths:
Das Thema ist recht vielschichtig. Zum einen gilt: Auch wenn wir vermuten, dass die Tiere durch die Glocken gestört werden, können wir dies aufgrund der dünnen Studienlage hierzu leider nicht beweisen.

In der Rinderhaltung gibt es noch andere, riesige Probleme: nur noch ein Drittel der Kühe kommt zeitweise auf die Weide. Der größte Teil von ihnen steht also das ganze Jahr im Stall. Dabei handelt es sich nicht immer um einen Laufstall, noch immer werden etwa 500.000 Kühe und 600.000 Mastrinder und Jungvieh in Anbindehaltung gehalten, viele von ihnen ganzjährig. Sie stehen an einer Stelle angebunden und können sie sich weder am Rücken kratzen noch umdrehen, geschweige denn laufen.

Insofern sind wir froh um jedes Tier, das noch auf die Weide darf. Auch wenn es mit dem  Nachteil des Tragens der Glocke verbunden ist.

Glocken werden verwendet, damit der Halter die Tiere leichter finden kann. Außerdem orientieren sich die Tiere auch untereinander anhand der Glocken.

Ein weiterer wichtiger Aspekt: Vor allem Wanderer werden durch das Geräusch der Glocken bereits von Weitem darauf aufmerksam, dass sie sich einem Gelände nähren, auf dem Tiere sind. Das ist besonders in den Bergen sinnvoll, wo es keine Zäune gibt bzw. die Wanderwege über die Weiden /Almen führen. Es kommt durch freilaufende Hunde und Fehlverhalten der Menschen leider immer wieder zu Unfällen mit Rindern. Durch die Glocken werden die Menschen gewarnt, sollten spätestens dann die Hunde anleinen und die Alm vorsichtig durchwandern oder einen Bogen um die Rinder machen.

Faszination Berge:
Gibt es aus Ihrer Sicht gravierende gesundheitliche Folgen für Tiere, die ständig Kuhglocken tragen?

Frau Wirths:
Leider gibt es hierzu bislang keine aussagekräftigen Studien mit solchen Glocken, die auch in der Realität tatsächlich verwendet werden. Insofern lässt sich keine wissenschaftlich fundierte Aussage zu den Auswirkungen der Glocken auf das Wohlbefinden der Tiere machen.

Aber: Dass das Läuten der Glocken, das bei jeder Bewegung hervorgerufen wird, die Rinder und auch Schafe oder Ziegen, die ja ebenfalls oft Glocken tragen, in ihrem Wohlbefinden stört, ist auf jeden Fall vorstellbar, da sie ein sehr feines Gehör haben - sensibler als das menschliche Hörvermögen. Die Lautstärke der Glocken ist sehr unterschiedlich, sie sind z.T. auch mit hohen Tönen verbunden.

Dass sich ein Gewöhnungseffekt einstellen kann, ist ebenfalls denkbar.

Außer der Beeinträchtigung durch die Glocke selber, kann es auch durch den Strick oder Halsband, an dem die Glocke hängt, zu Problemen kommen. Sie können z.B. scheuern, zu eng werden oder sich in Zweigen verfangen. Deshalb sollten sie regelmäßig kontrolliert werden.

Faszination Berge:
Sind Kuhglocken heutzutage in den Bergen überhaupt noch notwendig - beispielsweise, um die Tiere bei schlechter Witterung, Dunkelheit etc. zu finden - oder werden sie eher aus traditionellen Gründen genutzt?

Frau Wirths:
Es ist sicherlich für den Landwirt von Vorteil, wenn er sich in unübersichtlichem Gelände, im Dunkeln oder bei Nebel bei der Suche nach einem Tier an dem Läuten der Glocken orientieren kann. 

GPS-Tracker sind eine Alternative, aber nicht überall dürften sie funktionieren. Außerdem sind es wieder wirtschaftliche  Gründe, weshalb Glocken und keine GPS Sender eingesetzt werden.

Auf jeden Fall abzulehnen sind Glocken bei Tieren, die auf einem übersichtlichen, umzäunten Gelände gehalten werden. Hier besteht ja keine Gefahr, dass man die Tiere nicht finden kann und somit besteht keine Notwendigkeit zum Tragen der Glocken.

Faszination Berge:
Viele verbinden mit dem Läuten der Kuhglocken in den Bergen ein nostalgisches Gefühl, mit Tradition. Sieht der Tierschutzbund eine Möglichkeit, diese Tradition bzw. dieses damit verbundene Gefühl auch ohne gesundheitliche Schäden für die Tiere beizubehalten?

Frau Wirths:
Regionales Brauchtum und Tradition sind der Grund, weshalb Rinder z.B. beim Almabtrieb geschmückt werden und besonders große Glocken umgehängt bekommen oder wenn sie für Touristen auf einer Weide an einem Ausflugslokal gehalten werden.

Wenn sie auf der Alm sind, tragen sie die Glocken aber eher aus praktischen Gründen. Klar ist: Tradition ist niemals eine Rechtfertigung für Maßnahmen, die Tiere in ihrer Gesundheit beeinträchtigen.

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Frigga Wirths im Interview

© Deutscher Tierschutzbund e.V. / Frigga Wirths

Die Interview-Partnerin:

Interviewt wurde Frigga Wirths, Fachreferentin für Rinder beim Deutschen Tierschutzbund. Vielen Dank nochmal an dieser Stelle.