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Extremskibergsteiger Benedikt Böhm über Geschwindigkeit:

Benedikt Böhm ist ein deutscher Extremskibergsteiger und erfolgreicher Unternehmer, der seine Leidenschaft für Geschwindigkeit und Effizienz sowohl beruflich als auch sportlich zu verbinden weiß. Als Geschäftsführer des Bergsportunternehmens Dynafit hat er sich mit innovativen Produkten und Strategien, die auf die speziellen Bedürfnisse von Bergsportlern zugeschnitten sind, international einen Namen gemacht.

Im sportlichen Bereich ist Böhm für seine außergewöhnlichen Speedbegehungen bekannt. Es gelang ihm, einige der höchsten Berge der Welt in Rekordzeit und ohne zusätzlichen Sauerstoff zu besteigen. Diese beeindruckenden Leistungen sind das Ergebnis seiner intensiven Auseinandersetzung mit dem Thema Geschwindigkeit, das für ihn nicht nur am Berg, sondern auch im beruflichen Alltag eine wichtige Rolle spielt. 

Böhm verbindet seine alpinistischen Erfahrungen mit seinem unternehmerischen Know-how und entwickelt daraus eine einzigartige Perspektive auf Effizienz, Risiko und Leistung. Seine Erfolge auf den Gipfeln der Welt spiegeln sich in seiner Karriere wider, in der er ebenfalls nach höchster Präzision und Schnelligkeit strebt.

Faszination Berge: Geschwindigkeit scheint das Herzstück Deiner Karriere als Extremskibergsteiger zu sein. Was bedeutet Geschwindigkeit für Dich persönlich, sowohl im sportlichen als auch im beruflichen Kontext?

Benedikt Böhm: Geschwindigkeit ist das Herzstück. Und Geschwindigkeit wird oft missverstanden. Geschwindigkeit wird oft mit Hektik und Unruhe verbunden. Dabei ist es genau das Gegenteil und eine hohe Kunst. Denn Geschwindigkeit muss hart erarbeitet werden. Geschwindigkeit ist die Summe aus jedem nur erdenklichen Detail, welches effizienter gestaltet oder weggelassen werden kann. Bei meinen Speed Begehungen ist es nicht nur die körperliche und mentale Vorbereitung, sondern auch die technische Perfektion und Kreativität effizienter zu werden.

Wir haben unsere Ausrüstung perfektioniert. Wir sind mit unserer Ausrüstung regelrecht verschmolzen und haben Patente entwickelt, um den Flow Zustand zu perfektionieren. Wir haben Lösungen entwickelt unsere Ski am Rucksack ab- und anzubringen, ohne stehenzubleiben. Genauso für Steigeisen. Bei unseren Speed Begehungen auf 8.000er sind wir viele Stunden anstatt Tagen unterwegs. Wir versuchen trotz minus 80% Sauerstoffgehalt und Temperaturen bis zu minus 30 Grad ein konstantes Tempo zu finden.

Die Faszination und Kunst ist es, seine eigenen (und die des Teams) Fähigkeiten mit der lebensfeindlichen Umwelt perfekt zu synchronisieren.

Das ist eine intensive Reise zu sich selbst und die Liebe zum Detail. Denn um Geschwindigkeit aufzubauen, muss ich vor allem effizient weglassen können. Ich muss verstehen was überlebenswichtig (essentiell) und was nur wichtig ist. Und um effizient weglassen zu können, muss ich tief im Detail sein. Weglassen ist viel schwieriger als einpacken. Ich liebe es bei meinen Besteigungen genau das dabei zu haben, was ich brauche, um mich Punktgenau für die Todeszone ausrüsten, aber kein Gram und Milliliter mehr. So komme ich bei meinen Besteigungen direkt vom Basecamp auf unter 8kg.

Normalerweise geht man über Lagerketten und schleppt ein Vielfaches dieses Gewichts. 8kg sind unglaublich wenig, um solche Giganten zu besteigen. Ich habe gelernt, dass ich langsam machen muss, um schnell zu sein. Übersetzt heißt das: 80% des Erfolgs ist die Vorbereitung. 20% Flexibilität. Bei aller Vorbereitung bleiben Expeditionen immer noch Expeditionen mit vielen Ungewissheiten. Um diese Ungewissheiten zu meistern, muss ich flexibel sein. Ich musste die Fähigkeit entwickeln auch mal umzudrehen oder mich auf eine nicht vorbereitete Route einzulassen, da die akribisch vorbereitete Route aus welchen Gründen auch immer nicht mehr funktionierte.

Geschwindigkeit hat seit vielen Jahren aber eine viel größere Bedeutung für mich. Es geht letztlich um Lebenszeit. Wir haben durchschnittlich 700.000 Lebensstunden brutto als Mitteleuropäer. Das heißt von den 700.000 Stunden geht noch Schlafen, ins Leben kommen und gehen, etc. ab. Netto sind es also erheblich weniger Lebensstunden. Ich will und muss meine Lebenszeit effizient und sinnvoll einteilen, um meinen Rollen als Dynafit Geschäftsführer, Familienvater von 3 Kindern und Extremskibergsteiger gerecht werden. Deswegen vergleiche ich meine Lebenszeit oft mit einer Bergesteigung.

Ich frage mich ständig, wo meine Lebenszeit sinnvoll investiert und mein Wirkungsgrad am größten ist.

Und was ich eigentlich mit meiner Lebenszeit erreichen will? Ich versuche im Sinne meiner Ziele zwischen Essentiellen und Wichtigem zu unterscheiden. Das Leben ist eine ständige Abfolge von Entscheidungen. Wir haben es selber in der Hand, ob wir z.B. abends Netflix schauen, oder vielleicht Joggen gehen, an unseren Zielen arbeiten oder uns gesellschaftlich einbringen. Durch die frühen Erfahrungen mit dem Tod, lebe in dem ständigen Bewusstsein, dass das Leben endlich ist. Und das treibt mich an. Es treibt mich auch an schnell zu sein. Und schnell zu sein macht mir vor allem Spaß, wenn die Dinge laufen und im Fluss sind. Es ist ein gutes Gefühl etwas geschafft zu haben. Das Gefühl des Konsumierens befriedigt mich dahingegen nur sehr selten. Get things done.

Im beruflichen Kontext habe ich von meinen Grenzerfahrungen enorm profitiert. Die Konzentration auf das Essentielle und die permanente Visualisierung der Zielbilder sind nur ein Beispiel. Schauen wir uns den Standort Deutschland einmal an: was macht uns wettbewerbsfähig? Sicher nicht die Lohnkosten.

Nicht die Energiekosten. Nicht die Bürokratie. Letztlich ist unsere einzige Chance wettbewerbsfähig zu sein, Geschwindigkeit und Effizienz. Wir müssen die höheren Kosten durch ein cleveres und innovatives Design unserer Produkte und unserer Produktionsanlagen ausgleichen.

Um Geschwindigkeit aufzubauen, müssen wir innovativ sein. Denn Geschwindigkeit bauen wir vor allem dann auf, wenn wir Produkte und Dienstleistungen vereinfachen. Das ist der Grund warum Amazon, Apple, Google, Uber, McDonalds und co. so erfolgreich sind. Trade Republic fällt mir als einziges Beispiel für Deutschland ein. Alle diese Firmen vereinfachen durch effiziente Lösungen unser Leben und sparen uns wertvolle Lebenszeit. Unser Bestreben bei Dynafit war und ist immer die Verringerung der Komplexität und des Gewichts.

Der Grund, warum es Dynafit gibt (Purpose) ist die effizientesten Systeme für Bergsportler zu entwickeln.

Und diese Aufgabe ist am schwierigsten. Um erfolgreich zu sein, müssen wir bei Dynafit alle davon besessen sein, einen Schritt schneller zu sein. Ich hoffe, dass wir als Gesellschaft wieder einen größeren Leistungshunger entwickeln und Ambition Geschwindigkeit aufzubauen (Aufwand einzusparen) eine größere Rolle spielt. Die Ambition zur Weltspitze zu gehören und bei den Schnellsten dabei zu sein, sollte vor allem eins sein: Es sollte Spaß machen. Denn die Möglichkeit über sich hinauszuwachsen ist eines der intensivsten und lohnendstes Gefühle, die wir haben können. Das wünsche ich mir für unser Land und Europa. 

Faszination Berge: Du hast einige der höchsten Berge der Welt in Rekordzeit bestiegen und befahren. Was geht in Deinem Kopf vor, wenn Du mitten im “Geschwindigkeitsrausch” bist? Denkst Du nur an den nächsten Schritt oder schaltest Du Deine Gedanken sogar komplett ab?

Benedikt Böhm: Einen Geschwindigkeitsrausch habe ich in der Todeszone nie verspürt. Als Wettkampfsportler und Mitglied der Nationalmannschaft im Skibergsteigen hatte ich diesen Geschwindigkeitsrausch durchaus. Die Methodik ist sehr ähnlich, aber es macht einen großen Unterschied, ob du für eine erfolgreiche Platzierung gegen die Zeit kämpfst, oder ob du gegen die Zeit kämpfst, um dein Überleben zu sichern.

Dort oben mit minus 80% Sauerstoffgehalt funktioniere ich wie ein Algorithmus. Bei Speed Begehungen auf die höchsten Berge der Welt geht es mir darum, in meinem vorher festgesetzten Überlebenszeitfenster zu bleiben. Für dieses Zeitfenster bin ich trainiert und dafür bin ich maximal ausgerüstet. Mein innerer Algorithmus fragt alle Parameter in der Endlosschleife ab: Wie liege ich in der Zeit? Wie geht’s meinem Seilpartner? Wie viele Höhenmeter, Zeit, Proviant und Strecke verbleiben? Wie ist der Wind, das Wetter, die Temperatur und wie viel Tageslicht verbleibt? Mit dieser Abfrage synchronisiere ich mich und mein Team mit der Umwelt und beurteile permanent den Fortschritt zum Ziel.

Mit den erfolgreichen Algorithmus-Checks haben sich meine Gedanken oft an 1-2 Mantras in der Endlosschleife festgehalten. Einmal erinnere ich mich bei meinem Speed Rekord auf den Manaslu (8.163m) in 15 Stunden, als ich mir ständig sagte: Es gibt keinen Grund umzudrehen. Denn alle Parameter waren (wieder – es gab einen Sturm mitten in der Nacht) auf ‚grün‘. Ich war aufgrund des Sturms verunsichert gewesen und hatte auf 7.400m für 1,5h in einem unbemannten Zelt ausgeharrt, in der Hoffnung, dass der Sturm sich bei Sonnenaufgang abschwächen wird. Und die Rechnung ging auf. Alles in mir wollte umkehren. Nicht nur mein Körper hat danach geschrien die extreme Belastung zu beenden. Nein, ich hatte auch Angst.

Wenige Tage zuvor waren wir als Ersthelfer bei einem der größten Lawinenunglücke des Himalayas auf 6.700m im Einsatz. 11 Menschen starben. Viele der Überlebenden und Leichen hatten wir geborgen. Diese Eindrücke waren in mir immer noch sehr präsent. Deswegen redete ich mir immer wieder ein, dass es eben keinen Grund mehr gibt umzudrehen. Denn alle Checks hatten erfolgreich bestanden.  

Als wir letztes Jahr innerhalb von 12,5 Stunden vom Basecamp direkt auf den Gipfel es sechshöchsten Berg der Welt (Cho Oyu mit 8.201m) stiegen, sagte ich mir in der Endlosschleife: Schritt für Schritt. Ich wusste, es werden viele Tausende Schritte. Und umso schneller und konsequenter ich die Schritte setze, umso schneller bin ich oben – und wieder unten. Allerdings ist das mit -80% Sauerstoffgehalt eine große Herausforderung. 

Ich erinnere mich wie ich oft versucht habe, 10 Höhenmeter am Stück in der Todeszone aufzusteigen. Also ohne stehenzubleiben. Es ist mir meistens nicht gelungen. Ich musste meistens nach spätestens 5 Höhenmetern halb ohnmächtig nach Luft ringen. Oben am Gipfel ist es allerdings nicht vorbei. Bei schwierigen und lebensgefährlichen Skiabfahrten an den höchsten Bergen der Welt war es für mich oft erst der Ausgangspunkt. Ich wusste, dass ich mich nochmal über viele Stunden maximal konzentrieren muss. An den hohen Bergen sterben die meisten Menschen statistisch gesehen im Abstieg.

Der Gipfel ist erst geschafft, wenn du wieder lebendig unten ankommst.

Faszination Berge: Wie beeinflusst die Geschwindigkeit Deine Entscheidungen am Berg? Gibt es Momente, in denen Du Dich bewusst dafür entscheidest, langsamer zu werden?

Nein, ich versuche immer eine konsequente Geschwindigkeit aufrechtzuerhalten. Die große Kunst der Geschwindigkeit bei diesen Mammutprojekten ist es, eben nicht in Hektik zu verfallen, sondern eine konstante Geschwindigkeit vom Basecamp bis zum Gipfel und wieder zurück bis zum Basecamp durchzuziehen. Wenn man sich die GPS-Daten meiner Geschwindigkeitsrekorde anschaut, ist es faszinierend für mich zu sehen wie konstant und diszipliniert wir unser Tempo von Anfang bis Ende halten. Das unterscheidet mich von früher.

Ich konnte meine Kräfte oft nicht richtig einteilen und dachte das Rennen wird in der ersten Stunde gewonnen. Aber ein Sprint ist anders als ein Ultra Marathon. Du musst die Fähigkeit haben deine Kräfte über 24 Stunden und länger einzuteilen und ein Projekt zu Ende zu denken. Der Idealzustand ist eine konstante Geschwindigkeit. Das konstante vorankommen motiviert den nächsten Schritt zu setzen. Wenn wir Geschwindigkeit rausnehmen müssen, ist es kein gutes Zeichen. Es heißt, dass wir durch die eigenen Konditionen oder durch äußere Umstände gezwungen werden Geschwindigkeit zu reduzieren, oder sogar stehenbleiben müssen, um eine unvorhergesehene Situation zu beurteilen.

Das ist immer wieder passiert. Z.B. waren am Broad Peak (8.046m) die Bedingungen ab 7.000m viel schlechter als wir uns dies ausgerechnet hatten. Wir steckten oft im Hüfthohen Schnee und spurten uns die Lunge aus dem Leib. Wir verloren nicht nur wertvolle Zeit, sondern vor allem auch Kraft. Am Manaslu fanden wir uns völlig allein am Berg auf einmal in 7.200m Höhe in einem zunehmend steilen Lawinenfeld wieder.

Obwohl wir gut vorangekommen waren, mussten wir die schmerzhafte Entscheidung treffen umzudrehen. Wir fanden keine Möglichkeit diesen Hang zu umgehen. Ein andermal war es eine Spalte die Tage zuvor nicht da war und die plötzlich aufwendig überwunden werden musste. Und so gab es immer wieder unerwartete Herausforderungen, die uns zwangen unsere Geschwindigkeit zu reduzieren oder sogar umzudrehen.

Faszination Berge: Hast Du in Deiner Karriere einen Moment erlebt, in dem Geschwindigkeit für Dich zur Gefahr wurde? Wie bist Du mit dieser Herausforderung umgegangen und hat es Deine nachfolgenden Handlungen beeinflusst?

Ja, diese Momente gab es durchaus, besonders am Anfang meiner Karriere, als ich mit meiner übersprudelnden Kraft und Motivation nicht umgehen konnte und erst recht nicht wusste, wie ich dieses Potential richtig in der Höhe einsetze. Ich machte alles falsch, was man falsch machen konnte. Ich lief viel zu schnell, ich habe viel zu wenig getrunken (weil ich mir beweisen wollte, dass ich besonders hart bin), ich habe viel zu viel getragen, ich habe mich schlecht bis gar nicht akklimatisiert, ich habe mich völlig verausgabt.

Das hatte nichts mit der Kunst der Geschwindigkeit zu tun. Das Resultat war ein Lungenödem bei meinem Freund Basti und krankenhausreife Überlastungserscheinungen bei mir. Wir zerstörten uns regelrecht und mussten uns massiv auskurieren, um wieder auf die Beine zu kommen, bevor wir uns dann wieder zur nächsten Tour aufgerafft haben, um uns wieder völlig zu zerstören. Wir wollten es unbedingt wissen. Im Nachhinein betrachtet waren diese Erfahrungen extrem wertvoll, weil wir unsere Grenzen ausgetestet haben und vor allem gelernt haben, wie wir es richtig machen müssen.

Man muss eben langsam machen, um schnell zu sein.

Diese enorm schmerzhaften Erfahrungen haben uns gelehrt, wie wir uns richtig vorbereiten und akklimatisieren. Wenn wir innovativ sein wollen, brauchen wir auch diesen Geist in der Gesellschaft unseren Nachwuchs tun zu lassen, ohne ihn gleich einzubremsen. Wir lernen 80% durch das tatsächliche tun und die schmerzhaften Erfahrungen sind besonders wertvoll, wenn man diese richtig reflektiert und einordnet. Nichtsdestotrotz gibt es sicherlich intelligentere Wege zu lernen, als wir dies in unserem Draufgängertum durchlebt haben. 

Aber wir haben unsere Fehler reflektiert und korrigiert. Meine Ungeduld ist allerdings geblieben. Und Fehler machte ich weiterhin bei der Auswahl der Gipfeltage. Erfolg braucht nicht nur Talent und harte Arbeit, sondern auch gute innere und äußere Bedingungen. Du kannst der schnellste und beste Bergsteiger der Welt sein. Ein 8.000er lässt sich aber nicht übers Knie brechen. Wenn die Bedingungen nicht passen, hast du keine Chance. Ich habe manchmal den besten der schlechten Tage gewählt, weil ich es unbedingt wollte. Das empfinde ich heute als falsch und gefährlich. Ich setze mir heute Minimum Bedingungen, welche am Berg gegeben sein müssen. Wenn diese Bedingungen nicht eintreten, muss ich bereit sein auf den Gipfel zu verzichten, ohne es überhaupt probiert zu haben. Diese Erkenntnis musste erst in mir reifen. Ich befinde mich in dem Spannungsfeld der Ambition und des unbedingten Willens den Gipfel zu erreichen und dem pragmatischen Abwägen der Situation.

Faszination Berge: Inwiefern hat das Streben nach Geschwindigkeit Deine Sichtweise auf das Leben und den Alltag verändert? Siehst Du Parallelen zwischen Deinem schnellen Bergsteigen und der Geschwindigkeit, mit der Du geschäftliche Entscheidungen als Geschäftsführer von Dynafit triffst?

Benedikt Böhm: Ja, die Methodik ist geschäftlich die gleiche. Lagebild und Zielbild formulieren. Maximale Energie in die Auswahl der Teams und in die Vorbereitung stecken. Verstehen, dass der Weg zum Ziel bereits ganz große Schritte in die richtige Richtung sind. Schwierige Entscheidungen treffen und kompromissloses Weglassen.

Wir haben uns bei allem immer gefragt: Macht es uns schneller und hat es eine essentielle Sicherheitsfunktion? Wenn beide Fragen mit Nein beantwortet wurden, haben wir kompromisslos weggelassen. Aber ich habe viel mehr gelernt.

Das größte Gefühl ist, wenn Geschwindigkeit durch situatives Führen aufgebaut wird. Wenn wir als Team Symbiosen gebildet haben, weil wir unsere Stärken und Schwächen ideal miteinander ausgeglichen haben. Als wir verstanden haben, dass unser Ego effizienter Geschwindigkeitsbildung im Weg steht. Angst kann ein großer Bremsklotz sein. Wir haben irgendwann verstanden, dass wir Angst teilen können. Voraussetzung war, dass wir absolut offene Gespräche miteinander hatten, bevor wir zusammen in die Todeszone gestiegen sind.

Ich wäre früher nie fähig gewesen solche Gespräche zu führen. Und über das eigene Ableben zu sprechen. Über unsere Verantwortung, Angst und die Definition unserer Regeln in der Todeszone. Heute nenne ich es brutale, aber absolut professionelle und konstruktiv kritische Transparenz. Es ging für uns um die beste Lösungsfindung zum Erfolg und nicht ums recht haben. Ich musste lernen solche Gespräche zu führen. Und ich lerne weiter bis ans Ende meiner Tage. Ich habe noch nie einen Menschen kennengelernt (obwohl ich viele der einflussreichsten Vorstände kennenlernen dürfte), der nur annähernd vollkommen in dieser Disziplin ist.

Solche direkten konstruktiv professionellen Gespräche empfinde ich heute mit Abstand als die höchste Kunst der Führung.

Es ist enorm schwierig solche Gespräche zu führen und den richtigen Ton zu finden. Die meisten Menschen können es nicht, denn es ist viel leichter über jemanden als mit jemandem zu sprechen. Mein erster Führungsgrundsatz innerhalb meines Führungsteam ist ‚der direkte Weg‘. Mein Wunsch ist eine Kultur, in der gerade unangenehme und brisante Themen direkt mit der betroffenen Person angesprochen werden. Das Ziel ist Klarheit zu schaffen. Gute Führungskräfte schaffen Klarheit. Denn Klarheit ist die beste Antwort auf Ungewissheit und Unsicherheit. 

Wir haben uns irgendwann gezwungen diese Klarheit im Team vor dem gemeinsamen Geschwindigkeitsaufstieg in die Todeszone zu finden. Das Großartige an dieser höchsten Kunst der Führung ist: Jede*r kann sich darin üben. Klarheit kann ich mit Kollegen durch die Organisation und sogar proaktiv mit meinem Chef schaffen. In dem Moment, wo ich reflektiert das Gespräch suche, führe ich. Ich muss dazu weder hierarchisch vorgesetzt sein, noch muss ich eine Führungsposition innehaben. Menschen, die nach Klarheit und den direkten Weg suchen, werden als starke und integre Persönlichkeiten wahrgenommen werden.

Faszination Berge: Viele Menschen assoziieren Geschwindigkeit mit einem Verlust an Achtsamkeit und Wahrnehmung. Wie schaffst Du es, bei hoher Geschwindigkeit am Berg dennoch bewusst den Moment zu erleben?

Ja, damit werde ich immer wieder konfrontiert und von diesem Missverständnis sprach ich in der Antwort auf die erste Frage. Geschwindigkeit braucht Kontrolle. Das ist keine Frage. Und diese Kontrolle lässt sich sogar messen. Ich komme gerade von einem 7.000er in Pakistan, welchen wir in 7,5 Stunden von 5.500m aus bestiegen haben. Die meisten Bergsteiger nehmen sich einige Tage für diese Strecke Zeit. Wir denken, dass die Geschwindigkeit das Messparameter der Wahrnehmungsfähigkeit ist.

Aber in dieser Annahme steckt ein schwerwiegender Denkfehler. Der richtige Parameter zur Messung der Wahrnehmungsfähigkeit ist nicht die Geschwindigkeit, sondern die ganz persönliche Herzfrequenz.

Denn Geschwindigkeit ist wie Angst absolut subjektiv. Was für den einen schnell ist, mag für den anderen langsam sein.

Ich behaupte, dass unsere Herzfrequenz trotz einiger Geschwindigkeitsrekorde im Durchschnitt mindestens 30% niedriger war als die der meisten Bergsteiger, welche sich bis zu 500% mehr Zeit für dieselbe Strecke genommen haben und vielleicht sogar künstlichen Sauerstoff zu sich genommen haben, was wir für uns immer abgelehnt haben. Wie ist das möglich? Genauso wie es möglich ist, dass der weltbeste Marathonläufer trotz vielfacher Geschwindigkeit wesentlich mehr wahrnimmt als jemand, der viel später ins Ziel kommt.

Wir haben mindestens 20.000 unserer 700.000 Lebensstunden in die Perfektion der Geschwindigkeitsmaximierung gesteckt. Wir sind Besessene. Besessen muss man sein, wenn man Dinge erreichen will, die vielleicht nicht einmal angedacht wurden. Einen 8.000er in wenigen Stunden, anstatt Tagen zu besteigen, ohne künstlichen Sauerstoff und ohne Träger. 20.000 investierte Lebensstunden in ein bestimmtes Tätigkeitsfeld, ist der statistische Trainingsaufwand, um ein Experte zu werden. Das ist der Grund, warum sich ein Seiltänzer so sicher auf einem Seil bewegt, oder ein Formel 1 Fahrer sein Fahrzeug mit 400kmh in die Kurve einsteuert.

Die Passion wird zur Obsession. Wir haben gelernt trotz hoher Geschwindigkeiten sogar noch mehr wahrzunehmen. Wir haben Tag für Tag eisern trainiert. Dazu sind wir oft um 2 Uhr nachts aufgestanden, um vor der Arbeit 2.600 Höhenmeter auf die Alpspitze zurückzulegen. Wir sind mit unseren Zielen eingeschlafen und aufgewacht. Und dann wurden Schritt für Schritt Dinge möglich, die mir vorher unmöglich erschienen. Erwiesenermaßen überschätzen Menschen, was sie kurzfristig erreichen können, aber wir unterschätzen, was wir langfristig erreichen können. Das ist eine gute Nachricht, für alle Menschen die Disziplin und Ausdauer besitzen. Geschwindigkeit stellt sich nicht über Nacht ein.

Faszination Berge: Gibt es ein neues Projekt oder Ziel, das Du anstrebst und bei dem Geschwindigkeit wieder eine zentrale Rolle spielen wird? 

Ja, es gibt ein Bergprojekt, welches ich immer wieder aufgrund der schlechten Bedingungen verschieben musste. Sehr prägnant und noch nie so angedacht. Aber darüber sprechen wir nochmal, wenn es hoffentlich eines Tages dazu kommt. Ansonsten müsste die Frage eher lauten, wann Geschwindigkeit keine Rolle für mich spielt.

Ich gebe selbstkritisch zu, dass Langsamkeit zu selten eine Rolle für mich spielt. Aber die Langsamkeit stellt sich im Alter automatisch ein. Und in Gelassenheit übe ich mich und ich versuche den Dingen die richtige Bedeutung zu geben. Vielen kleinen Dingen keine Bedeutung zu geben, spart Zeit und Nerven. Ich bin also vor allem dankbar für die Zeit, solange ich noch schnell sein und viele Dinge in einen Tag packen kann.

Faszination Berge: Zum Abschluss: Wie schaltest Du als Extremskibergsteiger und Geschäftsführer von Dynafit ab? Hast Du bestimmte Rituale oder Gewohnheiten, die Du dafür in Deinen Alltag eingebaut hast?

Ich muss nicht abschalten. Ganz im Gegenteil. Ich schalte nie ab. Denn Dynafit und die meisten meiner Tätigkeiten sind für mich keine Belastung. Es ist einfach ein Teil von mir und deshalb übe ich diese Arbeiten auch gerne aus und denke auch gern darüber nach. Bei mir ist kaum eine Grenze zwischen Privaten und Beruflichen. Viele meiner Kollegen sind auch sehr gute Freunde. Ich habe mich eher damit abgefunden, dass ich so bin und versuche meinen Antrieb nicht (mehr) zu bekämpfen, sondern richtig zu steuern.

Ich bin einfach nicht der Typ für Abschalten und Strandurlaube. Ich bin immer gerne in Bewegung (auch im Geiste) und arbeite immer gern. Ich weiß nicht, ob Workaholic die richtige Bezeichnung ist. Denn ich empfinde es eher als Glück mein Leben so gestalten zu dürfen, dass sich Arbeit meistens nicht nach Arbeit anfühlt, sondern Spaß macht. Für mich gibt es nichts Befriedigendes, als mit einem tollen Team auf großartige Ziele hinzuarbeiten und über sich hinauszuwachsen.

Es macht nicht immer allen um mich herum Spaß (was ich gut verstehen kann), aber ich versuche mein Umfeld nicht zu sehr mit meinem Tatendrang zu belasten (was leider nicht immer gelingt). Abschalten tue ich in Bewegung am besten am Berg. Das ist mein Ausgleich, um meine Gedanken wieder zu neutralisieren und neue Ideen zu entwickeln. Ich brauche diese Zeiten mit mir am Berg ganz dringend und regelmäßig. Oft zu unchristlichen Zeiten. Danach sind die Gedanken aber wieder klar und die Welt in Ordnung.

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